Zu diesem Buch
Einleitung & Vorwort
.. Die Zeitzeugen
.. Multiplikatoren
.. Das Museum
.. Die Freiwilligen
.. Die Besucher
.. Die Stadt
Herausgeberin
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Die Stadt Oswiecim und ihr Umland

Vielen Besuchern von Auschwitz entgeht, dass in unmittelbarer Nähe zu den Lagern die 800 Jahre alte Stadt Oswiecim liegt. In ihr und den umliegenden Gemeinden leben heute etwa 58.000 Menschen. Um einige von ihnen geht es im sechsten Abschnitt.

Alexander Nitka ist einer von ihnen. Der junge, freundliche Student ist in Monowitz aufgewachsen, ein Ort, der bis zur Befreiung am 27. Januar 1945 „Auschwitz III“ hieß. Bei unserem Gespräch trägt er seinen linken Arm in Gips. „Ist vorgestern beim Radfahren passiert“, sagt er verlegen.

Dann berichtet er über Auschwitz aus der Sicht eines Einheimischen. Als Leistungssportler habe er an polnischen Schwimmwettkämpfen teilgenommen und sei wegen seiner Herkunft gehänselt worden. Andere Sportler hätten ihn und das Team zynisch von der Seite angequatscht, dass sie dafür, dass sie aus Auschwitz kämen, ja noch recht gut aussähen und ob sie die Seifenfabrik da noch hätten. „Das hat mir manchmal weh getan“. Fast allen Einwohnern aus Oswiecim ginge das so. „Es ist schwierig, in dieser Stadt Optimist zu sein“, sagt er. „Da ist immer die Frage, wie man in angemessener Weise der Opfer der Todeslager gedenkt. Wir müssen eine Koexistenz finden.“ Und das sei schwierig, weil es keine Stadt wie diese auf der Welt gäbe, an der man sich orientieren könne.

Dem Bürgermeister von Oswiecim, Janusz Marszalek, sind Diskriminierung und Vorurteile sehr geläufig. Wir sprechen in seinem Büro, das in der Altstadt von Oswiecim liegt, miteinander. „Leider produziert der Begriff Auschwitz bei Politikern, Journalisten und so vielen Menschen auf der Welt Reflexe mit immer gleichen Bildern, Meinungen, Einstellungen und Gefühlen“, sagt er. Auf eine ruhige und dennoch keinen Widerspruch zulassende Art stellt er klar: „Auschwitz ist nicht Oswiecim.“ Auschwitz sei das Gelände des Museums bis zur Mauer oder dem Zaun plus eine künstliche Schutzzone von 100 Metern. Danach beginne Oswiecim. Sorgfältig mit den Begriffen umgehen und trennen zwischen dem was war und dem was ist sei wichtig, „damit sich nicht aus Unachtsamkeit Adolf Hitler nach über 60 Jahren immer noch rächen kann“.

Anna und Adam Wojdyla leben seit ihrer Geburt in Oswiecim. Wegen der Arbeit in der chemischen Fabrik – in Monowitz –, die von Häftlingen aufgebaut wurde, sind ihre Eltern nach dem Krieg nach Oswiecim gezogen. Die Wohnung von Anna und Adam Wojdyla liegt etwa drei Kilometer vom Stammlager entfernt. „Es war immer schwer, in der Nähe der Lager zu leben“, sagen beide. „Oft denke ich für Wochen oder Monate gar nicht daran, dass die Lager so nah sind und es ist mir nicht bewusst, dass ich in der Nähe eines früheren Todeslagers lebe und arbeite“, sagt Anna Wojdyla. „Die Erinnerung kommt erst wieder, wenn etwas Besonderes passiert.“ Beide würden gerne wegziehen, doch die familiären Bindungen zählen sehr viel und halten sie davon ab.  

Viele Leute aus Oswiecim ziehen nach Krakau. Dort studiert Karolina Zarmalik. Sie kommt aus dem kleinen Dorf Gorzow und ist in Oswiecim bis zum Abitur zur Schule gegangen. Irgendwie sei man gezeichnet, wenn man aus Oswiecim käme, sagt sie. Viele seien überrascht, dass es hier ein ganz normales Leben mit vielen Geschäften gäbe und sie in die Disco gehe: „Ich meine, es gibt ja auch verschiedene Orte, wo man sich trifft, wenn man verliebt ist.“

 

 
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